MARIANNE PLETSCHER

    

Details, Pressestimmen, Dokumente

zurück zur Synopsis

Antonia lässt los


«Antonia lässt los» – Eine filmische Sterbebegleitung

Antonia Bianchi leidet an einer tödlichen Muskelkrankheit – sie muss lernen, Stück für Stück loszulassen: ihren Körper, ihre Fähigkeiten, ihre bisherige Welt. Geblieben sind ihr ihr Mann Marco, der sie aufopfernd pflegt – bis zum Schluss. Geblieben ist ihr auch ihr Humor, der dazu führt, dass die filmische Sterbebegleitung von Marianne Pletscher kein trauriger Film geworden ist, sondern eine Reflexion über das Sterben, die Mut macht.

Ihr letzter Wunsch war: noch einmal aufs Riesenrad. Und das zu einem Zeitpunkt, als die 51-jährige Antonia schon fast vollständig gelähmt war und Mühe mit Atmen hatte, zu einem Zeitpunkt, in dem viele andere mit der selben unheilbaren Krankheit schon lange aufgegeben hätten. Nochmals etwas Verrücktes erleben – typisch Antonia. An die Grenzen gehen bis zum Schluss – typisch Antonia. So war sie immer. Anderes musste sie mühsam lernen. Geduld zum Beispiel – und Loslassen.

Marianne Pletscher und ihr Team haben Antonia das letzte halbe Jahr ihres Lebens begleitet. Entstanden ist ein Film über loslassen und kämpfen gleichzeitig, ein Film, der mehr über das Leben als über den Tod aussagt.


Die Autorin zur Entstehung des Films

«Kennen Sie die 'Krankheit der tausend Abschiede', eine unheilbare neurologische Erkrankung, die zur vollständigen Lähmung des ganzen Körpers mit Sprachverlust führt? …

Es ist mein Wunsch, trotz meiner schweren Erkrankung an ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) diese Krankheit in einem Filmportrait den Menschen verständlich zu machen (keine Sendungen wie 'Puls' oder 'Gesundheit Sprechstunde') …»

Diese Zeilen schrieb mir Antonia Bianchi im März 2003. Sie war damals 51-jährig, lebte seit bald sechs Jahren mit der Krankheit und war seit einem Jahr zu hundert Prozent auf Hilfe angewiesen. Sie hatte schon einige andere Filmemacher angeschrieben, doch keiner zeigte Interesse.

Ich hatte gerade den Film «Besser Sterben – was man alles darf, wenn man nichts mehr kann» beendet, war ziemlich überrollt worden von der guten Aufnahme, die der Film im Fernsehen gefunden hatte und war überschwemmt worden von Briefen und E-Mails. Ich wusste, dass mich ein Aspekt des ganzen Themenbereichs weiter beschäftigen würde, das «Loslassen». Und so kam es, dass ich Antonia so schnell wie möglich, fünf Wochen vor dem ersten Drehtag, traf.

Loslassen war von Anfang an das zentrale Thema

Drei unglaublich intensive Stunden lang erzählte sie mir an diesem Nachmittag von ihrem Leben, vor allem von den letzten sechs Jahren, als sie langsam, Stückchen für Stückchen, lernen musste, von fast allem Abschied zu nehmen, was sie so liebte: Schwimmen, Segeln und Velofahren, das Tanzen, unter vielen Menschen zu sein. Es zeigte sich, das Antonia den Menschen genau das vermitteln wollte, wonach ich suchte: Was es heisst, loszulassen.

Ich war beindruckt von dieser schönen, zähen, sehr jung wirkenden Frau, die trotz ihrer fast vollständigen Lähmung eine grosse Energie ausstrahlte und für die loslassen, das war mir von Anfang an klar, nicht aufgeben hiess. Ich war mir nicht ganz sicher, wie viel sie neben ihren intellektuellen Gedanken von sich preisgeben würde, sie wirkte fast beängstigend kontrolliert. Doch wir beschlossen spontan, es miteinander zu versuchen.

Die Hoffnung, leben zu lernen mit der Krankheit

Von ALS hatte ich vorher noch nie gehört, ich lernte alles darüber von Antonia: dass die Krankheit meist sehr schnell zur vollständigen Lähmung und zum Tod führt, dass es nie lange Pausen gibt wie beispielsweise bei multipler Sklerose, dass es keine Medikamente gibt, welche die Krankheit heilen können, höchstens ein bisschen verzögern – eine Krankheit ohne Hoffnung also. Nur die Hoffnung auf ein Wunder oder die Hoffnung, leben zu lernen mit der Krankheit, können der Patientin Mut machen.

Und genau das hat sich Antonia mühsam erkämpft: das «Leben lernen mit der Krankheit». Dabei durften wir sie ein halbes Jahr begleiten – es war für uns beide eine Achterbahnfahrt.

Um jeden kleinen Schritt ringen

Unsere Filmaufnahmen beginnen mit einem langen Interview, in dem sich Antonia so kontrolliert zeigt wie beim ersten Recherchengespräch. Dann kommt ihr Mann Marco dazu – ich hatte ihn vorher gar nicht kennengelernt - er ist aber für den Film genauso wichtig geworden wie Antonia selbst. Er hatte seine Arbeit auf zwei Tage reduziert, um Antonia zu Hause begleiten zu dürfen. Seine Präsenz und seine Hilfe haben Antonia dieses «Leben lernen mit der Krankheit» wohl erst ermöglicht. «Wie ein Pflänzchen, dem man genügend Wasser gibt» sagt Antonia im Film.

In den Interviews und Szenen, die wir mit den beiden gemeinsam drehen, kann Antonia dann auch ihre nicht so kontrollierte Seite preisgeben, kann zeigen, wie sie um jeden kleinen Schritt, jede Möglichkeit, dem Leben noch Freude abzugewinnen, kämpft. Sie kann auch zeigen, wie weh vieles noch tut, dass sie gerne noch Salsa tanzen würde etwa. Immer aber reisst sie sich schnell wieder zusammen, freut sich über jedes Stückchen Freiheit, das ihr noch bleibt, am Lesegerät, am Computer, den sie mit leichten Kopfbewegungen am Anfang unserer Aufnahmen noch bedienen konnte. Und wenn nichts mehr geht, bleibt ihr immer noch die Musik.

Selbstbestimmt

Antonia wusste genau, was sie wollte – für den Film und für sich selbst. Sie wollte sich nicht bei der Physiotherapie filmen lassen zum Beispiel. Wenn Hilfe, dann durfte es nur ihr Mann sein. Ich glaube, ihre Einschränkungen machen den Film nur dichter und stärker. Wenn wir zuschauen, wie Marco ihren immer schwächer werdenden Körper vom Stuhl aufs Sofa, vom Rollstuhl auf den Arbeitsstuhl oder vom Auto in den Rollstuhl hebt, dann erleben wir einerseits die Vertrautheit der beiden bei ihrem «Tanz» mit, wir erleben aber auch schmerzhaft, wie alles immer noch schwieriger wird. Wenn wir dabei sein dürfen, wenn Marco Antonia schminkt, ist das nicht nur eine wunderbar berührende, poetische Liebesszene, sondern es steht auch als Metapher dafür, was für andere intime Verrichtungen sie nicht mehr selber tun kann.

Antonia wollte auch bis zum Schluss selbst bestimmen – ihre Trauerfeier etwa. Wir begleiten sie mit ihren Freunden Lukas Niederberger und Walo Hocher in aller Selbstverständlichkeit in die Kapelle im Lassalle-Zentrum für Meditation und Spiritualität, wo  ihre Abdankung stattfinden soll. Und als die andern traurig werden ist sie es, die ihnen mit ihrem Lachen wieder Mut macht. Auf dem Gelände des Lasalle-Hauses will sie auch beerdigt werden – und sie setzt es durch. Und sie pflanzt einen Samen: Sie gibt Marco die Möglichkeit, später immer dorthin zurückzukehren. Das wird für sein späteres Leben sehr wichtig – das zeigt der Schlussteil des Films, in dem wir Marco acht Monate nach Antonias Tod noch einmal besuchen.

Nochmals etwas Verrücktes erleben

Noch ist sie aber, obwohl gelähmt, quicklebendig, mit allen Hochs und Tiefs. Im Gespräch mit der Lebens- und Sterbebegleiterin Liliane Juchli lässt sie ihren Frust und ihre Aggressionen zu, nur um bald darauf wieder zu lachen. Sie fährt ein letztes Mal in die Ferien mit Marco, in die Toscana – es ist für sie die schönste Zeit seit langem. Und zwar darum, weil sie gelernt hat, den Rollstuhl und ihre Situation zu akzeptieren. Und sie lässt für den Film immer mehr Nähe und Emotionen zu. Auch heikle Themen werden nicht mehr ausgeklammert. Ich darf Marco sogar fragen, ob er ihr Sterbehilfe leisten würde. Eins ist für sie von Anfang an klar: sie will keine Magensonde, sie will keine künstliche Beatmung. Bevor sie nicht mehr sprechen kann, will sie sterben. Eigentlich wäre sie jetzt bereit. Nur Marco, ihren Mann kann sie noch nicht loslassen. Und sie hat noch einen letzten Wunsch: sie will aufs Riesenrad, sie will nochmals etwas Verrücktes erleben. Dieses «an die Grenzen gehen» ist typisch für Antonia. Es hilft ihr, das Leben trotz allem immer noch zu geniessen.

Es war bis zum letzten Moment nicht klar, ob das mit dem Riesenrad noch klappen würde. Ich hatte alles organisiert, die Schaustellerfamilie Hablützel freute sich, für Antonia einen ganzen Nachmittag lang die rollstuhlgängige Kabine zu reservieren. Doch sie konnte kaum mehr sitzen, das Atmen und das Sprechen machte ihr Mühe. Am Vorabend noch sagte sie mir praktisch ab, sie wolle sterben. Und dann kommt sie doch – und geniesst es von der ersten bis zur letzten Minute.

Der letzte Weg und ein Wegstück weiter

Ich habe für Antonia einen Rohschnitt zusammengestellt, damit sie sehen konnte, wie sie im Film wirkt, damit sie sehen konnte, ob ihre Botschaft durchkommt.

Was sie sah hat ihr gefallen – sie war jetzt bereit, loszulassen. Zwei Wochen nach dem Besuch auf dem Riesenrad, eine Woche, nachdem sie den Rohschnitt angeschaut hat, durfte sie sterben. So wie sie es sich gewünscht hat: sie ist, zuhause bei Marco, langsam eingeschlafen.

Der Film begleitet Antonia auf ihrem letzten Weg und Marco noch ein Wegstück weiter. Auch er hat loslassen können, denn die beiden haben sechs Jahre miteinander die Zeit für den Abschied genutzt, immer wieder, Stück für Stück.

Sie konnten zusammen trauern und weinen. Auch das zeigt unser Film.

Antonia wollte auf's Riesenrad. Das Riesenrad ist auch die Metapher für die Stationen ihres Lebens, es ist auch Titelbild, Überleitungssequenz und Schlussbild des Films. Antonia war es, die die Idee mit dem Riesenrad hatte – ohne zu wissen, dass sie mir damit auch eine visuelle Grundidee für den Film gab. Aber so war es die ganze Zeit beim Drehen, sogar noch nach

Antonias Tod: auf eine seltsame Art führte sie Regie und ich war wie ihr Medium. Im Film fragt Pater Lukas Niederberger sie, ob sie noch eine letzte Botschaft habe. Sie sagt, „ja, aber ich weiss noch nicht was“. Ich denke, ihre letzte Botschaft ist dieser Film. Er zeigt die Stationen von Rebellion und Akzeptanz und die vielen Emotionen, die ein so schwerer Abschied mit sich bringt. Er zeigt, was alles möglich ist unter schwierigsten Bedingungen und wie bewusstes loslassen hilft, das Leben bis zum letzten Moment lebenswert zu finden. Ich habe von Antonia gelernt, was loslassen heisst und ich hoffe, dass dieses Abschiedsgeschenk auch die Zuschauerinnen und Zuschauer erreicht.


Links und Informationen

Schweiz. Gesellschaft für Muskelkranke

Kanzleistr. 80, 8004 Zürich
Telefon 01/ 245 80 30
Fax 01/245 80 31
E-mail sgmk@sgmk.ch
Homepage www.sgmk.ch

Die Gesellschaft gibt eine Broschüre zur Krankheit ALS heraus und vermittelt wertvolle Kontakte

Internet-Ratgeber

www.neurohelp.ch

Lasalle-Haus

Zentrum für Spiritualität und soziales Bewusstsein
Bad Schönbrunn
6313 Edlibach / Zug
Telefon 041/ 757 14 14
Fax 041 757 14 13
E-mail info@lasalle-haus.org
Homepage www.lasalle-haus.org

Im Lasalle-Haus hat Antonia Bianchi Trost und Hilfe gefunden

Bücher zur Krankheit ALS

Amyotrophe Lateralsklerose
Martin E. Westarp, Verlag Schattauer, 1996)

Amyotrophe Lateralsklerose
Dennler, Ludolph, Zierz, 1999)

Bücher zum Umgang mit Sterben und Tod

Wie ich sterben will. Autonomie, Abhängigkeit und Selbstverantwortung am Lebensende
M.Mettner und r. Schmitt-Mannhart, NZN-Buchverlag 2003

Dem Leben so nah – Schwerstkranke und Sterbende begleiten
H.Kreisel-Liebermann, Vandenhoek und Ruprecht 2001


Autorin und Team

Autorin Marianne Pletscher studierte in Zürich und den USA. Abschluss an der Dolmetscherschule Zürich, an der Harvard University (politische Wissenschaften) und am American film Institute (Soielfilm). Sie macht seit vielen Jahren Dokumentarfilme für SF DRS ,3-Sat, Arte und das rätoromanische Fernsehen und ist gleichzeitig Dozentin für Dokumentarfilm an verschiedenen Ausbildungsinstitutionen. Viele ihrer Filme wurden im In- und Ausland mit Preisen ausgezeichnet.

Kameramann Werner Schneider† arbeitete seit vielen Jahren für SF DR, zeurst als Tonmeister, dann als Kameramann von Dokumentar- und Spielfilmen. Er hat ebenfalls zahlreiche Preise gewonnen.

Marianne Pletscher und Werner Schneider arbeiteten seit vielen Jahren als Team zusammen.

Tonmeister Peter Conrad gehört zu den bewährtesten Tonmeistern von SFDRS

Zusätzlicher Ton: Peter Greub und Roland Arngip

Cutterin Pamela Myson schneidet seit Jahren die Filme von Marianne Pletscher

 

zurück zur Synopsis